Lühning

Writing about music is like dancing about architecture“, soll Elvis Costello irgendwann einmal gesagt haben. Und hat damit Recht und Unrecht zugleich. Zunächst einmal ist das Schreiben über Musik jedoch ein Handwerk wie jedes andere auch. Ein Handwerk wie das Graben von Erdhöhlen, das Reparieren einer Fahrradkette oder eben das Errichten von Häusern. Manche bauen ziemlich gerade, ziemlich schöne Häuser, in denen es sich gut leben lässt, andere wiederum bauen windschiefe Hütten, die beim ersten unfreundlichen Herbsturm in sich zusammenfallen, und das Land der Pressetexte ist nicht gerade voll von Le Corbusier- Bauten, wenn Ihr versteht was ich meine. Aber manche Hausherren machen einem das Bauen auch nicht so leicht. Was das alles mit Lühning zu tun hat? Na ja. Ihr kennt iTunes? Wir tun jetzt einfach mal so als sei iTunes kein Programm, keine Maschine, die von Leuten gefüttert wird, sondern ein intelligentes, vernunftbegabtes Lebewesen. Sicher sein kann man sich da ja nie. Wenn du Lühnings „Entfernung“ in iTunes importierst, ist der geheime Musikerkenner in deinem Rechner erkennbar verwirrt. Zu jedem Stück wirft das kleine Einordungsmonster eine eigene Rubrik aus. Der Titeltrack „Entfernung“ ist Jazz/Pop/Indie, „Gestern“ ist Psychedelic, während „In der Wucht“ irgendwie Trip Hop ist und „Verkriechen“ muss sich von dem freudlosen Racker als Trance beschimpfen lassen. Der aufmerksame Hörer ahnt außerdem vielleicht noch den genetischen Fingerabdruck von Drum & Bass, Bossa Nova und Deephouse. Aber was sagt uns das? Nichts. Außer dass der geheime Musikerkenner von Apple vielleicht doch nicht so schlau ist wie man vielleicht gedacht hat, sonst würde er bei jedem Stück laut „Bossanovajazzsoulindiepoptriphophousefusion“ schreien und damit trotzdem meilenweit daneben liegen. Ja, es stimmt, bei Lühning sind einige der genannten Stile zu Gast. Ja, es stimmt auch: in der Musik von Lühning haben sich Jahrzehnte von Hörerfahrung abgelagert und Spuren hinterlassen. Es wird sogar ein Titel von Matt Bianco auf „Entfernung“ interpretiert und trotzdem hört sich die Musik immer irgendwie wie Lühning an. Aber gilt das nicht für jede ernstzunehmende Band ,werden jetzt einige zurecht fragen? Ist das Vermischen von Stilen in 2007 an sich schon eine Leistung? Nö, eigentlich nicht. Und wie klingt die Musik von Lühning jetzt nochmal genau? Inga 

Lühning(Gesang), Christian Thome (Drums), Helmut Fass (Bass), Mario Mammone (Gitarre) und ihr Produzent/Programmierer Lars Bartkuhn machen Musik von Heute. Schöne Musik. Aufrichtige Musik. Ironiefreie, in sämtlichen Modernismen bewanderte, aber trotzdem oder gerade deshalb manchmal angenehm altmodische und unaufdringliche Musik, die ihre Modernität nicht wie eine Monstranz vor sich her trägt. Es ist Musik, die zu Herzen gehen will und keine falsche Scham kennt.  Sie ist eher ruhig als aufgeregt, sie ist eher leise als laut, eher schön als hässlich, eher fein als grobschlächtig. Inga Lühning singt ihre Texte auf Deutsch und versteckt sich nicht in den semantischen Grauzonen einer fremden Sprache. Sie singt von Liebe und Distanz und Sehnsucht in einer Diktion, die manchmal haarscharf auf der Felskante zum Kitsch jongliert, aber immer das Gleichgewicht behält. Manchmal denkt man „wie schön“ und manchmal denkt man: „au Backe!“. Kann man das machen? Kann man das so singen? Und die Antwort lautet: „jawoll!“. Das kann man so machen! Das muss man vielleicht sogar so machen! Denn es ist zwar manchmal vielleicht etwas unfertig, aber auch vor allem ist es aufrichtig, mutig und toll! Martin Walser, das alte Dichter-Schlachtross, hat neulich irgendwo irgendetwas gesagt, was sich irgendwie schlau anhörte und gut zu „Entfernung“ passt. Sinngemäß ging es darum, dass er sagte, als Schriftsteller solle man niemals angelerntes, abgenutztes Vokabular benutzen. „Wofür du keine eigene, durch Erfahrung genährte Sprache hast, darüber sollst du schweigen“ sagte er. Aber Inga Lühning hat keine Lust zu schweigen. Denn manchmal muss man sich seine Sprache eben auch erst erarbeiten und erkämpfen und den Worthülsenfabrikanten dieser Welt entreißen. Dieser Prozess ist den Texten von Lühning eingeschrieben. Und jetzt singt Inga über Dinge, die ihr widerfahren sind, in einer Sprache, die ihre eigene ist, einer Sprache, die durch Erfahrung genährt und mit ihr gewachsen ist, ganz so wie es der gute Mann vom Bodensee empfiehlt. Und die anderen spielen dazu Gitarre und Bass, trommeln, swingen, drücken auf Tasten rum oder schieben ihre Regler in Position ganz so wie sie es im Laufe der Jahre als Musiker und Musikhörer – jeder für sich – für gut befunden haben. Und das Ergebnis heißt Lühning und ihr Album heißt „Entfernung“, und es hätte ein tanzendes Corbusier-Gebäude von einem Text verdient gehabt, um es mit Elvis Costello zu sagen.